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Sprache entwickelt sich weiter, wandelt sich. Fachbegriffe dringen in unsere Sprache ein, weil wir Wörter für neue Technologien und Artikel benötigen. Grammatikkonstruktionen, Redewendungen oder einzelne Wörter schaffen es aus den Dialekten in die Hochsprache oder verkümmern bis zum Vergessen. Dem muß ein Standardwerk für die Hochsprache (wie bislang der Duden in Deutschland) Rechnung tragen.
Über die Jahrzehnte seit der letzten großen Rechtschreibreform mit Vereinheitlichung der Schriftsprache überhaupt in den Jahren 1876 und 1901 gab es viele Ansätze, weitere Reformen durchzusetzen. Bei den meisten von ihnen wollte man zur „gemäßigten Kleinschreibung“ wechseln, was durch den Widerstand in der Politik und dem Volk zum Glück mißlang. Dann traten wir in die 1990er ein.
Den Werdegang der neuen deutschen Falschschreibung mit ihrer Durchsetzung in geltendes Recht werde ich stark verkürzt wiedergeben und mich auf die wichtigsten Geschehnisse beschränken. Wer den genauen Hergang erfahren möchte, ist hiermit auf die einschlägige und sehr umfangreiche Literatur verwiesen, wie ich sie ganz unten auf der Seite noch auflisten werde.
Aus einiger Entfernung betrachtet, ähnelt die Durchsetzung der neuen deutschen Falschschreibung einem drittklassigen Kriminalstück. Regisseur ist ein Konsortium, das Institut für deutsche Sprache. Besonders hervorgetan haben sich dabei die beiden Schweizer Peter Gallmann und Horst Sitta, die auch das Drehbuch lieferten. Die Produktion übernahm u. a. die BRD, hierbei besonders das Bundes‐ und die Länderkulturministerien, nach Anweisung der Ministerpräsidenten. Als Mäzen wurden zunächst die Schulbuchverlage zwangsverpflichtet, im Verlauf des Stücks auch die vorgeladenen 100 Mio. Zuschauer. Darsteller waren neben vielen anderen die bereits erwähnten Herren Gallmann und Sitta in ihren Dreifachrollen.
Viele weitere Darsteller traten zwar auf, doch wurden ihre Rollen von der Regie kleingezeichnet und eher als stilisiert wahrgenommen. Kunstkritiker und Experte des dargebotenen Stoffs ist Prof. Ickler, der gar wagt, vor noch versammeltem Publikum den Verantwortlichen dieses Machwerks ihre kriminelle Energie und fachliches Unvermögen vorzuhalten. Zusammen mit zuhilfeeilenden Kunstliebhabern – immerhin einem kleinen Teil des Publikums –, wird er von der geballten Übermacht der Darsteller, Regie, Produktion, vereinnahmter Presse und einem anderen kleinen Teil des Publikums plattgewalzt. Noch in den letzten Zuckungen liegend, schwenkt die Kunstwelt Schilder, deren Aufschrift lautet: Lieber tot als solche Schande! Das Stück wird weit über die Grenzen Europas hinaus bekannt. Ob solchen Schildbürgerstreichs ertönt das schallende Gelächter der Welt – bis heute.
… Soweit ein erstes Stimmungsbild. Jetzt aber: Vorhang auf!
Wieder gab es Reformer, die zu allem entschlossen waren, diesmal aber mit dem entscheidenden Unterschied zu ihren vielen Vorgängern, daß sie erkannten: Die genauen Änderungen müssen unter allen Umständen solange vor Politik und Volk verheimlicht werden, bis sie gesetzlich festgeschrieben sein würden. Hierbei galt es, das Problem zu umschiffen, die Legislative mit nebulösen Umschreibungen und plakativen Versprechungen zur Vereinfachung der Orthographie zu betören oder wenigstens bis nach der Verabschiedung hinzuhalten. Wesentlichen Anteil am Umsetzungserfolg nahm die vollmundige Aussage, die Reformen seien kostenneutral
durchzuführen. Hatte die Gesetzgebung erst einmal Tatsachen geschaffen, konnte man die Fahne schwenken, es sei zu spät zur Rückkehr.
An welcher Gesellschaftsschicht muß man den Hebel der Dekrete ansetzen, um einem möglichst kleinen Widerstand zu begegnen? Es sind die Schüler – Kinder und Jugendliche, die sich nicht wehren können, ja nichtmal die Tragweite der Änderungen annähernd erfassen können. Um nun nicht andere Bevölkerungsgruppen kopfscheu zu machen, beschließt man eine Begrenzung der rechtlichen Verbindlichkeit der Reform auf ebenjene Schüler und die Beamten. Somit sei sonst niemand gezwungen, die Reform mitzumachen. Ein schlauer Schachzug, denn die Reformer wußten sehr genau, welcher Rattenschwanz an Konsequenzen folgen würde (wie wir gleich sehen werden).
Durch die Hintertür würden sich die Machtverhältnisse verselbständigen. Hat man sich erstmal eine Generation von Schülern im neuen Rechtschreibsystem herangezogen, würde diese auf die noch verbliebenen Bevölkerungsgruppen einwirken. Letztlich konnten die Reformer darauf setzen, das Problem der reformunwilligen Mahner (oder nun ewig Gestrigen) würde sich mit der Zeit auf natürliche Weise lösen.
Zur Durchführung dieser Rechtschreibverform hat man von Seiten ihrer Befürworter immer nur gehört, es seien ja nur die Schüler und Beamten akut betroffen, jede weitergehende Umstellung im Volk geschähe auf rein freiwilliger Basis. Weil nun vorerst nur die Lehrmittel der Rechtschreibung mit geringen Kosten angeschafft werden müßten, alle weiteren Umstellungen in den Lehrbüchern durch die Schulbuchverlage nach und nach im ca. 6jährigen Lebenszyklus eines Schulbuches einfließen könnten, sei die Reform kostenneutral
durchzuführen!
Die Meinungen der beiden Lager über die tatsächlich zu erwartenden Kosten schwankte zwischen 0–300 Mio. DM und 5–10 Mrd. DM! Obwohl, nach über 19 Jahren Erfahrungswerten, die nur bis heute (in die €‐Ära) entstandenen Kosten eher Richtung 10 Mrd. DM gehen, hätte die Politik selbst bei nur 1 Mio. DM ein Kostenfeststellungsverfahren durchführen sollen. Ja, hier sage ich sollen, denn die Reform wurde nicht per Gesetzesbeschluß, sondern per Verordnung bewirkt, was keine Kosten‐Nutzen‐Rechnung erfordert!
Hier darf man wohl als gegeben annehmen, daß die Reformer genau diesen Umstand ausnutzten. Trotzdem, wenn die Politiker sich nicht derart hätten blenden lassen, auch, was die kalkulatorischen Kosten anging, hätte die Durchführung einer Kosten‐Nutzen‐Rechnung auch ihnen geboten erschienen. Immerhin handelt es sich um ein Projekt, an dem ganz Deutschland, Österreich, die Schweiz und Liechtenstein, sowie einige Länder mit deutschsprachigen Minderheiten beteiligt waren! Selbst bei fehlender Verpflichtung, eine solche Analyse zu erstellen – nur Hasardeure gehen ein solches Wagnis ein!Augen zu und rum ums Eck
?
Selbstverständlich ist es schwierig, noch nicht entstandene Kosten abzuschätzen; es ist aber nicht damit getan, auf jeden Fall fällige Kosten für die Wirtschaft und Land/Staat zu leugnen, um eine geschönte Bilanz vorweisen zu können. Hier denke ich in erster Linie an die Umschulungskosten von Lehrern und Sekretärinnen. So betrachtet, hätten z. B. § 6 Abs. 2 HGrG und § 7 Abs. 2 BHO und BayHO (und der Haushaltsordnung anderer Bundesländer/Freistaaten) greifen müssen. Warum wurden die zu erwartenden Kosten nicht offiziell ermittelt? Scheute man vor der Realität zurück, um das Durchpeitschen der Reform nicht zu gefährden?
Gallmann und Sitta gestanden 1996 in ihrem Handbuch Rechtschreiben zu, der Regeltext für die neue deutsche Falschschreibung sei schwer lesbar
. Der bekannte Germanist Prof. Theodor Ickler, der sich um den Kampf für die traditionelle Qualitätsrechtschreibung verdientgemacht hat, veröffentlichte ein Zitat der vorgenannten Herren: Das Regelwerk ist weder für den Laienleser geschrieben noch für ihn lesbar
. Wie man nicht nur durch die Darlegung auf meiner Netzpräsenz erkennen kann, ist es durchaus möglich, auch komplizierte Zusammenhänge prägnant und verständlich zu vermitteln. Leider braucht es dazu auch den Willen. Das immer vollmundig gepriesene, ja gebetsmühlenhaft vorgetragene Argument der Reformbefürworter, die Rechtschreib‐ und Grammatikregeln würden massiv zusammengekürzt werden, lautete:
112 statt wie bisher 212 Rechtschreibregeln.
9 statt wie bisher 52 Kommaregeln.
Erst geraume Zeit später, nach einer eingehenden Untersuchung dieser Behauptung der Reformbefürworter durch Prof. Werner Veith von der Universität Mainz, stellte er fest:
„“Es ist falsch, daß die Vielzahl der deutschen Orthographieregeln auf 112 reduziert worden ist. Die 112 amtlichen Regeln der reformierten Rechtschreibung sind nur umsetzbar, wenn man 1106 Anwendungsbestimmungen berücksichtigt, in denen 105 Wortlisten (Ausnahmen von den Regeln) enthalten sind mit zusammen 1180 zu memorierenden oder nachzuschlagenden Wörtern. Allein im Bereich der Getrennt‐ und Zusammenschreibung gibt es bei sieben Regeln 253 Anwendungsbestimmungen mit 45 Unterregeln, zwei Spezifikationen, 15 Kann‐Bestimmungen, 123 Bedingungen, 33 Listen und 28 Verweisen
Quelle: Die Welt, 6.10.1997
Diese für den Hauptvorteil der Rechtschreibverform desaströse Feststellung bestätigte unanfechtbar das mulmige Gefühl des Großteils der Bevölkerung zur Reformargumentation! Kommen wir jetzt zu den konkreten Auswirkungen des Machwerks.
Seit 1876/1901 mit der größten Sprachreform seinerzeit hat sich natürlich auch das Deutsche gewandelt; es blieb aber immer bei maßvollen und größtenteils sinnvollen Änderungen. Seit 1996 aber, als die Herren Gallmann und Sitta mittels Parlament beschließen ließen, ihre Ansichten über die Sprache allen Deutschsprechern aufzuzwingen, herrscht Chaos!
Da wurden Neuregelungen erlassen, später als Irrweg erkannt und zurückgenommen. Mehrere parallel existierende Schreibvarianten von Wörtern wurden als richtig anerkannt – freilich mit der Empfehlung einer neuen Schreibung nach Gutdünken der o. g. Herren.
Andere Wörter wie beispielsweise Tolpatsch, deren etymologisch richtige Schreibung als unrichtig definiert wurden, erhielten Formen (wie Tollpatsch), die eine gänzlich andere Herkunft vortäuschen. Greuel und greulich (also abscheulich) wurden zu Gräuel und gräulich verschlimmbessert, obwohl sie nichts mit der Farbe Grau zu tun haben. Dann gibt es das Wort platzieren, weil man einen Wortstamm Platz darin vermuten kann. Dieses Wort – richtig geschrieben aber plazieren – verkehrt schon seit längerer Zeit in unserer Schriftsprache, vermutlich wegen fehlender Kenntnisse der Wortherkunft. Hier wären noch unzählige weitere Beispiele zu nennen. Das Sprachdurcheinander ist schier tastbar, den himmelhohen Turm sehe ich nirgends.
Die als erstes auffallenden Änderungen durch die neue deutsche Falschschreibung betreffen die Auflösung unseres scharfen S in vielen Fällen. Nicht nur, daß jetzt oftbenutzte Wörter wie daß verhunzt werden, es stellen sich damit auch weitere Probleme ein. Wie soll man denn jetzt noch ästhetisch akzeptabel Meßschieber, Maß, Anschlußstelle oder Begrüßung schreiben? Die inzwischen oberlästigen freundlichen Grüsse und die Strasse erregen nur noch Übelkeit. Auch liest man jetzt in Produktbeschreibungen:
Masse: 30 mm×16 mm×224 mm
Masse: 394g
Na ja, Alkohol in Massen ist gesund.
Man braucht keine Kenntnis über die exakten Bezeichnungen der einzelnen Wortbestandteile, um zu erkennen, daß hochfliegen ein zusammengesetztes Wort ist. Ein damit gebildeter Satz ist leichtverständlich:
Das Flugzeug wird hochfliegen.
Das Flugzeug wird hoch fliegen.
Beide Beispiele sind in der bisherigen Qualitätsrechtschreibung verfaßt. Im ersten Beispiel haben wir die (saloppe) Aussage, daß der Flieger explodieren wird oder aber (zweite Bedeutung, wenn auch etwas holprig ausgedrückt) aufsteigen wird. Im zweiten Beispiel ist nur von einer Flughöhe die Rede. Nun schreiben wir beide Sätze in neue deutsche Falschschreibung um.
Das Flugzeug wird hoch fliegen.
Das Flugzeug wird hoch fliegen.
Wie nicht anders zu erwarten war, ging durch die „Modernisierung“ der Orthographie Information verloren. Hier tritt der Effekt besonders stark in Erscheinung: Beide Sätze sind jetzt gleich. Niemand kann mehr sagen, welche Bedeutung gemeint war. Selbst der Kontext dieser Aussage wird wahrscheinlich nicht weiterhelfen. Man ist auf Vermutungen angewiesen – eine lästige Situation. Vielen Dung geht an die Demagogen dieser Verschlimmbesserung.
Dieses Beispiel habe ich in aller Länge und Breite vorgestellt, obwohl es auch kürzer auszudrücken gewesen wäre. Nun aber können wir uns umso direkter weiteren Beispielen von Sprachverhunzung zuwenden:
…, wo sie sich die Bäuche voll schlugen …Quelle: Der Schwarm, S. 38f, von Frank Schätzing
Merkel will „Maß halten“Quelle: Münchner Merkur vom 27.11.2008, S. 2
Kilometer lange Staus löste der Unfall auf der A 95 bei Hohenschäftlarn aus.Quelle: Münchner Merkur vom 29./30.11.2008, S. 16
Wer als Kind mit Büchern vertraut gemacht wurde, …Quelle: Oberland 7 vom 19.12.2008, S. 3
Ähnlich ergeht es bei folgenden Wortverbindungen, nicht nur mit Verben:
blaufärben, weiterrücken, unterrühren, festhalten, zusammenfegen, haushalten, untermengen, fachsimpeln, zurückgehen, pilzbefallen, atemberaubend
Oder wie wärs damit?
Sie warteten auf das frisch gebackene Ehepaar.
So kann ein gutgemeinter, harmloser Wunsch der Festgemeinde zu einem Fall für den Staatsanwalt werden!
Warum haben die Rechtschreibvermurkser nicht Nägel mit Köpfen gemacht und restlos alle bislang zusammengesetzten Wörter zwangsgetrennt? Während die ganz bestimmt sehr gute Gründe hatten, die Regeln so auf zu stellen, fällt mir ein, dass ich noch den Tisch ab beizen muss, neue Holz Scheite in den Ofen auf legen, den kühl Schrank ab tauen – und über Haupt meine recht winkligen drei Ecke sortieren. Hilfe!
Nachdem uns ja nun seit 1996 mehr und mehr die grenzenlose Verblödung erreicht hat, stellen wir fest, daß man nun noch nicht einmal mehr richtig trennen können muß! So manchem leidgeplagten ehemaligen Schüler widerfährt es:
Trenne nie s‐t, denn es tut ihm weh!
Damit hatten auch die Lehrer Recht. Heute liest man Leis‐tung, Widers‐tand, ums‐tellen. Aber auch diese Trennungen sind nun erlaubt oder werden zumindest gemacht:
Lo‐cke, Ra‐die‐schen, Haars‐pal‐ten
Greulich! Oder Gräulich? An nahezu jeder beliebigen Stelle darf man die Wörter nun trennen. Da stockt einem nicht nur der flüssige Redefluß beim Vorlesen – nein, sogar das Blut in den Adern!
Eine zeitlang durfte man sogar A‐horn trennen. Die einbuchstabige Silbe abzutrennen war nur eine der Regeln, die hin‐ und wieder zurückgebogen wurden. Besonders groteske Ergebnisse zeitigte diese Regel z. B. beim Bergahorn und beim Walduhu, der Roß‐ und Wegameise und der Sitzecke. Trennte man früher (ich bis heute!) ein ck in k‐k, wird heute auf ‑ck getrennt. Scheußlich! Diese selbsternannten Sprachexperten haben halt keinen Sinn mehr für Ästhetik.
Eine besondere Qualität in Perfidie und Hinterhältigkeit zeigten die Agitatoren, indem sie nicht etwa blauäugig die Bevölkerung nach einem Reformwunsch befragten (oder fragen ließen), sondern mittels plakativer und vollmundiger Versprechungen die Reform gesetzlich verankern ließen, um daraufhin offenbar planlos draufloszuändern.
Die Kultusminister Deutschlands – offensichtlich nicht mit dem Stoff vertraut, den sie auf Länder‐ und Bundesebene verwalten – wurden durch die Versprechungen gelockt und verführt, die Reform sei kostenneutral durchzuführen und spare auf lange Sicht viel Geld auf allen Regierungs‐ und Verwaltungsebenen, indem die neue Rechtschreibung ja viel einfacher zu erlernen und anzuwenden sei als die bisherige. Die Politiker wurden mit möglichst sparsamen Erklärungen uninformiert gehalten, was das Regelwerk anbelangte.
Nach längeren Gesprächen – unter Politikern kann sowieso nur jegliches Thema zerredet werden – wurde die Rechtschreibreform gesetzlich verankert. Dies geschah nicht per Gesetzeserlaß, sondern per Verfügung. Somit kam man auch um die Pflicht zur Kostenfeststellung herum. Diese hätte nämlich dazu geführt, daß der Inhalt der Reform inkl. ihres Regelwerks bekanntgeworden wäre, was das sofortige Aus bedeutet hätte. Man erklärte nur, allein die Schüler und Beamten seien akut von der Reform betroffen; allen anderen sei die Teilnahme an der Reform freigestellt. Das überzeugte schließlich die Maustotredner, obwohl sie doch nichts über das Ausmaß der Reform wußten! Verantwortungslos, so etwas!
Nun, nachdem die Reform erklärte Sache war, hat man zunächst die Schulbuchverlage (die längst alarmiert und höchst besorgt waren) in die Pflicht genommen. Zusammen mit einem Erlaß an alle Beamten, sich nun an der neuen deutschen Falschschreibung zu orientieren, war dies der Anfang vom Ende der deutschen Sprache. Schnell wurde klar, daß erhebliche Nachbesserungen am Regelwerk vonnöten waren. Der Aufschrei besorgter und entrüsteter Eltern um die erst jetzt allen klargewordenen Konsequenzen des Neuschreib war einfach zu laut.
Man rief: Ätsch, ätsch, zu spät!, stempelte die Reformkritiker als ewig Gestrige ab und scherte sich ansonsten nicht weiter um sie. Im Sinne einer stromlinienförmigen Korrespondenz entschieden sich fast alle Geschäftsleute für die neue Schreibe – vielleicht nur, um nicht ebenso als Relikte einer vergangenen Zeit zu gelten. Dies setzte sich auch in den Medien durch.
Die sonst so auf ihren elitären Ruf bedachte FAZ schwenkte kurz mit ein, stieg aber wieder aus und wurde somit über Jahre hin die einzig noch verbliebene Zeitung mit höherer Auflage, die die ordentliche Rechtschreibung nutzte. Im Jahr 2006 dann brach die FAZ plötzlich ein und kollaborierte mit den anderen Sprachverschandlern, worauf ab dem 1.1.2007 auch sie nur noch verhunzt druckte. Wahrscheinlich waren es finanzielle Gründe, sich wie das Fähnchen im Wind zu drehen. Asche auf ihr Haupt!
Ich behaupte: Diese Entwicklung war von den Reformtreibern erwünscht, vorausgesehen und gelenkt! Vorher hat man die Politiker eingelullt, danach den Weg zurück versperrt. Da Reformkritiker stigmatisiert wurden und die Medien und die Wirtschaft (soweit sie nicht sofort mitzogen) damit erpreßt wurden, als Hinterwäldler bezeichnet zu werden, konnte es geschehen, daß sie fast alle in die Reform einwilligten.
Es gibt heute kaum noch einen (Ex‐)Schüler in unserem Land, der ein gutes Schriftdeutsch vorweisen kann, wenn er wenigstens zwei Jahre mit der neuen deutschen Falschschreibung zu tun hatte. Zugegeben – auch die, die der Sprachverhunzung entkommen sind, nehmen ihre kulturelle Grundlage kaum ernst.
Heute sehen wir, was dabei herausgekommen ist: Groß‐ und Kleinschreibung werden konsequent durcheinandergeworfen, s wird mit ss und ß verwechselt und nach Gutdünken getrennt. Massenhafte Anglizismen verschandeln das Sprachbild und vage oder verworrene Formulierungen führen uns zielstrebig in die Irre. Halb ausformulierte, abgebrochene Sätze oder Vermischen verschiedener grammatischer Satzstellungen mit ihren Flektionen und Deklinationen lassen uns wie den Ochsen vorm Berg stehen.
Wer das nicht glauben will, muß sich nur einmal irgendein beliebiges Forum im Datennetz ansehen. Das hierbei oft vorgebrachte Argument, hier komme es auf Unterhaltung oder Hilfe zur Fehlerbeseitigung an, nicht auf Struktur, Rechtschreibung oder Grammatik – geschweige denn Stil –, ist nur ein lauer Versuch, sein Banausentum zu vertuschen.
Seit 1996 ist genug Zeit ins Land gegangen, um zu bemerken, daß es so nicht weitergehen kann! Wo bleibt denn der Anspruch an vernünftiges Deutsch? Man muß kein Deutsch‐Experte werden, um sich eine gute Sprache anzueignen – nur etwas Zeit und guten Willen muß man aufwenden. Es gibt immer noch Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen, die sich dem Diktat der Politik widersetzt haben und es so freilich leichthatten, die bewährte Qualitätsrechtschreibung beizubehalten. Der Zahn der Zeit aber nagt auch an uns. Im Datennetz wird man kaum hochqualitatives Textmaterial finden.
Die meisten Zeitungen, Zeitschriften und Buchverlage haben längst auf die neue Art umgestellt, wie mit unserer Sprache umgegangen wird. Das Fernsehen beschleunigt den Verfall, weil kaum Schriftliches dargeboten wird – und wenn, dann wieder in … wir wissen es. Die einzig ergiebige Quelle an Lesestoff mit hoher sprachlicher Qualität findet man noch in Büchereien; doch die müssen Unmengen an altem Material wegwerfen, um Platz für neue Anschaffungen zu haben – solche in … Das Herz blutet mir, wenn ich mit ansehen muß, wie tonnenweise Literatur (teils von Weltrang!) der Papierverwertung zugeführt wird, nur weil sie in Qualitätsrechtschreibung abgefaßt ist.
Selbst, wer nur einige wenige Neuregelungen befürwortet, muß sich doch von der Machart der Reformumsetzung abgestoßen fühlen. Wie bereits ausgeführt, wurden Regelungen wie Einzelbuchstabenabtrennung beschlossen, später dann zurückgenommen. Auch die Zusammenschreibung einer ganzen Menge von zusammengesetzten Verben ist nach der gewaltsamen und sinnentstellenden Trennung wieder erlaubt, teilweise sogar bindend!
Durch die Unmenge an Ausnahmen (über geschlossene Wortlisten erreicht) war eine konsistente Regelung nie vollzogen – und es wird durch weitere Zugeständnisse immer schlimmer. Die wievielte Reform der Reform der Reform wir haben, weiß längst niemand mehr. Wäre das Thema nicht so ernst, man müßte sich ob des Charakters dieser Posse belustigt sehen.
Zu den psychologischen Folgen haben bereits etliche Autoren Stellung bezogen. Im wesentlichen handelt es sich um einen großflächigen Unmut in der deutschsprachigen Bevölkerung gegenüber der Politik mit ihrer eklatanten Verletzung des Sprachgefühls. Die Bürger fühlen sich zu Recht von Politik und Reformtreibern bevormundet und beschimpft, da sie die Reform im wesentlichen ablehnen. Bereits jetzt sind ganze Geburtsjahrgänge an Schülern vollständig in Neuschrieb unterrichtet worden, von den Jahrgängen, die während ihrer Schulzeit in ihrem Sprachgefühl vergewaltigt wurden, ganz zu schweigen.
Schüler können sich bei Fragen zur Rechtschreibung nicht mehr auf ihre Eltern verlassen, und umgekehrt gilt das gleiche. Es wurde ein Keil ins Volk getrieben, die Generationen wurden gespalten. Der Rechtschreibkrieg wurde entfacht – und das auf dem Rücken der Bürger! Die Unmengen an Arbeitsstunden, die durch den Kampf gegen Windmühlenflügel verlorengingen, werden durch die womöglich noch zahlreicheren Arbeitsstunden ergänzt, in denen man über den Inhalt von vorgesetztem Neuschriebtext nachdenken muß. Was das für ein volkswirtschaftlicher Wahnsinn ist, kann sich jeder selbst ausmalen!
Als ob das nicht schon genug wäre! Der Volksentscheid in Schleswig‐Holstein, ein Recht der Bürger in einer Demokratie, wurde von Politikern gekippt, die erst durch die Bürger an die Macht kamen. Was mit einem Hund passiert, der in die fütternde Hand beißt, weiß man ja. In der Politik aber kann man sich anscheinend alles herausnehmen. Somit haben die Politiker in Schleswig‐Holstein kraft des Gesetzes das Gesetz (Demokratie) außer Kraft gesetzt! Niemand von den Oberen fühlte sich berufen, da einmal nachzuhaken. Der Verlust an Demokratieempfinden und ‑bewußtsein im Volk ist wohl nie mehr wieder gutzumachen, und das deutschlandweit!
Die Zeit ist reif, längst! Wir brauchen ein gutes Fundament für alle unsere weiteren Taten. Der Schüler muß wieder ein Gefühl für seine Sprache bekommen, was hilft, für den Schulstoff motiviert zu sein. Der Lehrling braucht ebenso hochqualitativ geschriebene Lehrbücher. Dem Studenten geht es nicht anders. Auch dem Berufstätigen ist die Sprache nicht egal. Spätestens dann, wenn er den Unterschied sieht und gar tastend fühlt, die Schönheit und Eleganz begreift, wird er die Notwendigkeit zur Gegenreformation erkennen.
Durch passiven Widerstand allein, etwa durch Erduldung, werden wir keinen Politiker beeindrucken. Ja, die Politiker haben uns diesen Misthaufen an Rechtschreibregeln hinterlassen! Wir alle haben sie an die Macht gewählt. Wir können sie auch wieder abwählen! Leider hängen wir für vier Jahre in der Warteschleife, wenn wir uns verwählt haben. Was Volksentscheide bewirken, haben wir in Schleswig‐Holstein ja gesehen.
Wenn sich doch nur endlich einmal die vermutlich 80 Mio. Unzufriedenen einigen würden! Gemeinsam könnte man ganz bestimmt viel bewirken. Doch dazu, fürchte ich, ist die deutsche Mentalität nicht geschaffen. Trotzdem, es ist kein zu kleines Anliegen, das wir haben! Es geht hier um unsere Kultur, unsere Sprache. Ich habe das mir Mögliche getan. Jetzt sind Sie an der Reihe!
Durch das Wunschdenken, die Rechtschreibreform vereinfache die Sprache und deren Erlernbarkeit, sie sei kostenneutral durchzuführen und belebe die Wirtschaft, wurden Ministerpräsidenten und Kultusminister zur Schützenhilfe gewonnen. Mit verschiedenen Konsortien oder Vereinen im Schlepptau und unter Verheimlichung des Regelwerks (das das gesamte Projekt als Aberwitz entlarvt hätte), wurde die Umstellung gesetzlich verankert. Als dann das desaströse Ausmaß der Änderungen dem Volk bekanntwurde, behinderten die Agitatoren die Rückabwicklung des Gesetzes. Es hieß: Ätsch, ätsch, zu spät! Diskussionen wurden im Keim erstickt. Keiner der 100 Mio. Betroffenen hatte je eine angemessene Möglichkeit, dieses Machwerk beizeiten zu stoppen. Die Akzeptanz der Reform ist durch das eklatant undemokratische Vorgehen verständlicherweise gering.
Der Meinung von Fachleuten wie Prof. Dr. Ickler und Literaten wie Günter Grass wurde bei weitem nicht das Maß an Aufmerksamkeit zugestanden, wie es bei einer neutralen Betrachtung notwendig gewesen wäre. Ja, mehr noch: Diese hehren Kämpfer für unsere Sprache wurden als Blockierer und letztlich ewig Gestrige
gebrandmarkt und von den Medien kaum noch ernstgenommen. Gerade die Medien haben sich trotz vereinzelter Loyalitätskundgebungen für den Erhalt der Qualitätsrechtschreibung (und dem trotzdem meist baldigen Abfall von ihrem Bekenntnis) auf die Seite der Reformer geschlagen, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.
Unsere Sprache und ein gutes Stück Kultur wurden auf dem Opferaltar eines gewissen‐ und kulturlosen, aber lukrativen und menschenverachtenden Prinzips dargebracht und der Wähler, der den Scherbenhaufen kaum per Wahl verhindern konnte, wurde verhöhnt, es nicht getan zu haben. Kulturrevolutionen wie der Volksentscheid in Schleswig‐Holstein 1997 und der Beschluß der Stadt Braunschweig 2004 (alle durchweg zu unterstützen) wurden faktisch niedergeschlagen.
Die großen Gewinner der Sprachverhunzung sind die Wörterbuchverlage; allen voran Duden und Bertelsmann. Zu den Verlierern muß man neben den Schulbuch‐ und Belletristikverlagen im besonderen die deutsche Sprache selbst zählen, sowie (fast) alle Schüler und Freunde der Sprachkunst, die diesen Schwachsinn über sich ergehen lassen müssen.
Heute scheint es aussichtslos geworden zu sein, die gute alte Rechtschreibung zurückzuerhalten. Die wenigen Experten zugunsten der Sprachkultur, die noch nicht resigniert haben, fristen ein Schattendasein der Unterdrückung und Stigmatisierung und können nur noch im Untergrund tätig sein. Von der Politik ist beim derzeitigen status quo nicht mehr die mindeste Besserung zu erwarten und so bleibt nur noch der Protest durch zivilen Ungehorsam!
Letztlich ist dieser status quo nicht der Weisheit letzter Schluß. Eine Änderung ist möglich, auch wenn man sich dazu erstmal den ganzen Verlauf der Reform mit der Tragweite ihrer Konsequenz vergegenwärtigen muß. Es waren unsere Politiker in den großen, etablierten Parteien, die unsere Sprache gegen die Wand fuhren. Richtig gewählt, wird dieser Prozeß wieder umkehrbar sein. Ich verspreche nicht das Blaue vom Himmel herab, denn ich bin kein Politiker: Es werden Narben zurückbleiben und viel Zeit vergehen!
Bestehen Sie in der Firma, im Privatleben, in jeglicher Korrespondenz auf korrektem Qualitätsdeutsch! Strafen Sie Lieferanten durch Wechsel ab, wenn diese in Werbung, Katalogen und Rechnungen Neuschrieb verwenden. Seien Sie standhaft und unbequem, denn Ihr konsequentes Verhalten bedeutet für die Firmen wirtschaftliche Einbußen, was sie dazu zwingen wird, Ihren Wünschen nachzukommen!
Wir, die wir den Wunsch nach Qualität haben und sogar das Druckmittel dazu, nutzen es nicht? Jeder noch so kleine Erfolg nutzt unserer Sache! Der Kunde ist König! Das haben leider in Deutschland & Co. die meisten Firmen vergessen. Es wird Zeit, es ihnen wieder bewußtzumachen. Beamte sind definitionsgemäß Diener des Volkes, sie aber behandeln uns als Bittsteller. Das Feudalsystem ist doch hoffentlich abgeschafft? Der Beamte ist für den Bürger da, nicht andersherum!
Meine Meinung also: Die Reformtreiber halte ich der vorsätzlichen Kulturgutvernichtung wegen für Verbrecher, die lebenslang hinter Schloß und Riegel gehören. Die Politiker, die dem Treiben der Agitatoren widerstandslos zusahen, halte ich zumindest der Beihilfe für schuldig. Warum sollten hier eigentlich nicht § 8 Abs. 2 des Internationalen Strafgerichtshofs und das deutsche Kulturgüterrückgabegesetz greifen? Erkundige sich doch einmal ein Experte auf diesem Sachgebiet! Auch wenn den beteiligten Parteien formaljuristisch nichts anzuhaben sein sollte – für moralisch verantwortlich halte ich sie auf jeden Fall.
Aus diesem Grund empfehle ich: Alle Büchertitel, Zeitschriften und Zeitungen in Verhunzungsdeutsch nach Möglichkeit boykottieren. In Buchhandlungen nach Ausgaben gewünschter Titel in Qualitätsrechtschreibung fragen. Den Politikern zum Dank der Tatenlosigkeit und Pflichtvergessenheit immer und immer wieder eine Abfuhr erteilen. Protest wählen oder ungültig – das bedeutet demokratische Pflicht! Parteien, die gegen die Zwangsreformierung angehen wollen, gibt es genug. Schade nur, daß man auch sie stigmatisiert und deshalb als unwählbar betrachtet.
Dem, der bis hierhin gelesen hat, fällt bestimmt mein treibender Unterton auf. Vielleicht wird man ihn als aggressiv bezeichnen. Er ist aber letztlich nur ein noch verbliebenes Mittel, meine Erfahrung mit der Reform, meinen Frust und die Wut über die Tatenlosigkeit auszudrücken. Wer hat denn sonst den Mut oder genügend Rückgrat, um endlich deutlich zu werden? Zeigen wir doch endlich Entschlossenheit; Schluß mit politisch korrektem Geseiere!
Politiker versagen, Agitatoren läßt man freie Hand, die Presse läßt sich bereitwillig vereinnahmen und zieht als Effekt auch noch die Wirtschaft mit. Volksbegehren werden niedergeschlagen und die Meinung von Experten unterbunden. Das betrachte ich als subversiv, ja, als Zensur! Sogenannte veraltete Lexika und Lehrbücher werden millionenweise eingestampft. Einem Religionskrieg gleich zwingt man uns einen neuen Glauben auf. Die Bücherverbrennung haben wir schon. Wann brennen die ersten Künstler?
Die Franzosen haben vor über 200 Jahren aller Welt gezeigt, daß man ein schier übermächtiges System bezwingen kann! Sie lassen sich auch nicht in ihre Sprache pfuschen. Die Isländer sind sogar nochmal einen Zacken konsequenter: Meines Wissens nach existiert kein einziges englischsprachiges (Lehn‐)Wort in ihrer Sprache! Wir könnten es ihnen gleichtun, aber wir haben nicht den Mumm! Gebetsmühlenhaft leiert man uns über die Medien vor, es sei zu spät für die Rücknahme und man solle sich doch endlich damit arrangieren.
Und das Volk? Lieschen Müller und der deutsche Michel schweigen und lassen es damit nur immer schlimmer werden. Wer die Gelegenheit hat, befrage einmal einen Franzosen oder gar Isländer, ob er sich die deutsche Politik über seine Sprache gefallenließe.
Unsere superfeine Politikerschar möchte ich sehen, wie sie reumütig auf Titelblättern, zur Hauptsendezeit und in wochenlangen weltweit ausgestrahlten Wiederholungen bekennt: Volk, wir haben erkannt, daß Du Recht hattest. Wir haben uns mißbrauchen lassen und Dich dafür bluten. Deines Vertrauens sind wir unwürdig. Wir alle fühlen uns persönlich verantwortlich für unser schändliches Treiben und werden restlos allen unseren Besitz geben, um wenigstens einen winzigen Anteil zur Wiedergutmachung zu leisten. Volk, gehe am Sonntag, den Soundsovielten zur Wahl und bestimme unsere Nachfolge. Wir treten zu diesem Stichtag geschlossen und unwiderruflich zurück!
Ein Traum? Ja, aber träumen wird man doch noch dürfen?